Astrid und Martina

Akzeptanz und Abenteuer bereichern das Leben

Astrid hat einen Vollzeit-Job, sie reist gerne und viel, ist sportlich aktiv. Anfang 2023 tourt sie mit ihrem Verlobten durch Neuseeland und Asien, macht dort Wanderungen, eine Canyoning-Tour, lernt Surfen. Doch was nach einem unbeschwerten Leben klingt, muss Astrid sich immer wieder aufs Neue erkämpfen, denn: Sie lebt mit den Folgen eines Schlaganfalls.

Schon als Kind ist Astrid aufgeweckt, steht im Tor ihres heimischen Fußballvereins und schwimmt leidenschaftlich gern in der DLRG. Doch der 4. November 2003 wird zum Wendepunkt in ihrem Leben. „Dieser Tag war einfach nur furchtbar“, erinnert sich ihre Mutter Martina. Ihre Tochter ist damals acht Jahre alt, als sie plötzlich das Gleichgewicht verliert, vom Fahrrad fällt, sich halbseitig nicht mehr bewegen, nicht mehr sprechen kann. Die Diagnose nach 16 Stunden zermürbender Ungewissheit: Schlaganfall. Es folgen vier Wochen Krankenhaus und sechs Monate Rehabilitation. Astrid gewinnt ihre Sprache zurück, aber die linke Körperhälfte bleibt gelähmt.

 

Keine Extra-Behandlung

Die vielen Therapien, auch nach der Reha, bringen Besserung. Doch als Astrid in die Pubertät kommt, blockt sie plötzlich alles ab. „Als meine Tochter sagte, sie werde keine Behandlungen mehr machen, habe ich geweint“, erinnert sich Martina. Sie befürchtet, dass ihr Kind sich alles verbaut. „Von nichts kommt ja nun mal nichts.“ Doch Astrid bleibt stur.

 

„Kinder stecken dich schnell in Schubladen“, erklärt die heute 28-jährige ihr damaliges Verhalten. „Ich wollte dazugehören, keine Extra-Behandlung, ein normales Leben führen.“ Die Folge: Sie versucht, ihre Einschränkungen zu verbergen. Als sie ihr duales Studium „Bachelor of Business Administration“ beginnt, erzählt sie nicht mal ihrem Arbeitgeber von ihrer Geschichte. Es ist ein wahrer Kraftakt – physisch und psychisch. Was ihr zugutekommt: Sie macht damals weiterhin Sport. Das beeinflusst ihre körperliche Entwicklung positiv und gibt ihr mental einen wichtigen Ausgleich. Auch ihre Mutter tut, was sie kann: „Ich habe auf vermeintliche Kleinigkeiten geachtet. Zum Beispiel, dass Astrid keine Schuhe mit Klettverschluss trägt, sondern Schleifen binden muss – um ihre Feinmotorik zu fördern.“

Der Weg zur Einsicht

Für einen Sinneswandel hinsichtlich ihres Schicksals sorgt bei Astrid, neben dem Auszug aus dem Elternhaus und der damit verbundenen Konfrontation mit der eigenen Gesundheitsgeschichte, im Jahr 2018 der mehrtägige Erfahrungsaustausch, den die Schlaganfall-Hilfe regelmäßig für junge Betroffene ausrichtet. „Dort habe ich gelernt, mein Los anzunehmen. Ich habe erkannt, was ich von Gleichgesinnten lernen und was ich zurückgeben kann. Ich danke der Stiftung noch heute für dieses Erlebnis.“

 

Vier Jahre später nimmt sie erneut an dieser Veranstaltung teil, diesmal mit ihrer Mutter. „Erst wollte ich nicht mitkommen. Ich wusste nicht so recht, was es mir oder anderen bringen soll“, erinnert sich Martina. Ihr Resümee nach vier intensiven Workshop-Tagen: „Der Austausch mit anderen Angehörigen war bereichernd. Und vor allem war es schön, das hier gemeinsam mit Astrid zu erleben.“

Astrid beim Erfahrungsaustausch der Schlaganfall-Hilfe


Familiärer Zusammenhalt

Die Familienbande der Dreyers ist bemerkenswert. Astrid hat einen Zwillings- und einen zwei Jahre älteren Bruder. Ihre Eltern fahren damals mit ihr für Therapien quer durch Deutschland, ihre Brüder haben stets Verständnis. „Uns ist es glücklicherweise gelungen, die Jungs nicht zu vernachlässigen“, sagt Martina – wohlwissend, dass dieses Risiko für Geschwisterkinder besteht. „In unserer Familie war es schon immer so, dass jeder für jeden da ist. Wir reden viel und organisieren uns gut. Ich glaube, deshalb haben wir bisher auch alles so gut gemeistert.“

 

Einen ganz besonderen Moment erleben Astrid und ihre Mutter bei der Hochzeit des Zwillingsbruders Henning: Das Brautpaar hat entschieden, die Kollekte der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe zugutekommen zu lassen. „Als der Pastor das während der Trauung verkündet hat, sind mir die Tränen gekommen“, erinnert sich Astrid noch immer sichtlich bewegt. „Dass mein Bruder und meine Schwägerin an ihrem großen Tag an mein Schicksal gedacht haben, hat mich sehr berührt.“. Auch ihre Mutter bekommt noch immer Gänsehaut bei dem Gedanken an diesen Moment.

 

Abenteuer und Grenzerfahrungen

Inzwischen gibt es noch jemanden, der sich längst wie Familie anfühlt und der jederzeit an Astrids Seite steht: ihr Partner Justus. „Er ist zum Glück genauso lebensfroh und sportbegeistert wie ich. Wir erfinden uns gemeinsam immer wieder neu.“ Anfang 2023 nehmen sich die beiden eine dreimonatige Auszeit von ihren Jobs, um sich einen großen Traum zu erfüllen. Sie fahren mit einem gemieteten Camper-Bulli durch Neuseeland, reisen mit dem Rucksack durch Thailand, erkunden mit einer Gruppe anderer junger Menschen Vietnam und lernen schließlich in einem Surfclub auf Bali das Wellenreiten. Sie machen herausfordernde Wanderungen zu atemberaubenden Aussichtspunkten und sogar eine Canyoning-Tour, bei der unter anderem das Abseilen an einem Wasserfall auf dem Programm steht. „Diese Reise hat mich immer wieder an meine Grenzen gebracht. Durch die Einschränkungen meiner linken Körperhälfte, sind viele Situationen für mich natürlich eine ganz andere Hürde als für gesunde Menschen. Aber dank meines Ehrgeizes und der Unterstützung von Justus bin ich über mich hinausgewachsen. Das macht mich unheimlich stolz“, erzählt die 28-Jährige.

Astrid und Justus unterwegs mit ihrem Camper

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Der Wert guter Versorgung

Doch ihr bleiben nicht nur die sportlichen Aktivitäten in Erinnerung. Es sind zudem die Begegnungen mit den Menschen, die die Reise für sie so besonders machen. Eine Situation hat sie nachhaltig geprägt: In Thailand begegnet sie einer Frau, die vor einiger Zeit einen Schlaganfall hatte. „Ihrer Hand- und Fußhaltung nach zu urteilen, hat sie niemals Therapien bekommen“, erzählt Astrid. Die Begegnung setzt bei der jungen Frau ein Gedankenkarussell in Bewegung. Erneut wird ihr vor Augen geführt, wie gut es Schlaganfall-Betroffenen in Deutschland geht, dank beeindruckender Forschung und fortschrittlicher Behandlungsmethoden. Dank der Kostenübernahme für viele Therapien durch die Krankenkassen. „Und auch dank der Schlaganfall-Hilfe!“, ergänzt sie energisch. „Dass sie betroffene Menschen aus ganz Deutschland miteinander vernetzt, ist so wertvoll. Der Austausch mit anderen kann wirklich heilsam sein. Diese Möglichkeit hätte ich mir für die Frau in Thailand auch gewünscht.“

 

Mutmacherin

Astrid weiß, wie fragil das Leben ist. Deshalb genießt sie jeden Tag und schreckt trotz ihrer Handicaps vor Abenteuern nicht zurück. Um anderen Mut zu machen, engagiert sie sich in einer Selbsthilfegruppe und teilt ihre Erfahrungen mit anderen Betroffenen, zum Beispiel bei Veranstaltungen der Schlaganfall-Hilfe.

Ich möchte zeigen, was trotz Einschränkungen möglich ist.
Astrid


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