"Das war’s dann wohl..."
Es war Viertel vor fünf, der Bilanzbuchhalter aus dem westfälischen Beverungen freute sich schon auf seinen Feierabend, als ihm plötzlich ganz anders wurde. Schwindel, Kribbeln, die rechte Seite wurde taub. „Ich fiel um wie eine Eiche“, erinnert er sich heute. Das Umfeld reagierte schnell, er kam umgehend auf die Stroke Unit, die Schlaganfall- Station, im nahe gelegenen St. Ansgar Krankenhaus Höxter.
Ärzte um ihn herum, die Röhre des MRT, seine eigene Rat- und Hilflosigkeit – das sind Erinnerungsfetzen, die Gockeln Monate später mühsam zusammensetzt. „Ich dachte: Das war’s dann wohl!“ Die folgenden anderthalb Tage fehlen in seinem Drehbuch. Sein Film geht weiter mit der Schlaganfall-Lotsin an seinem Bett, die ihm auch heute – sechs Monate nach dem Schlaganfall – wieder gegenübersitzt. Das sind aber auch schon alle Parallelen zwischen damals und heute.
Alles unter Kontrolle
Gut gelaunt plaudert der 54-Jährige über sein Leben, seinen Schlaganfall und die ambulanten Therapien, die er gerade absolviert. „Ich gehe da richtig gerne hin, weil ich sehe, wie es vorangeht.“ 20 Kilo hat er abgenommen, sein Blutdruck ist jetzt gut eingestellt, den Diabetes hat er im Griff, Treppen steigt er wieder – rauf und runter – und auch das Tippen am Laptop funktioniert wie vor dem Schlaganfall. Zur Entspannung hört er Musik und geht seinen Hobbys nach.
Koordiniert, beraten und unterstützt bei all dem hat ihn seine Schlaganfall-Lotsin Angela Winzmann. Die Gesundheits- und Krankenpflegerin machte zunächst eine Fachweiterbildung zur Stroke Nurse, zur „Schlaganfall-Schwester“, bevor sie sich im vergangenen Jahr bei der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe auch zur Case Managerin weiterbilden ließ.
Ohne Kümmerer geht es nicht
Jetzt ist Angela Winzmann Mitarbeiterin eines großen Modellprojekts der Schlaganfall-Hilfe (STROKE OWL), das der Bund mit rund 7 Millionen Euro fördert. 17 Schlaganfall-Lotsen in Ostwestfalen-Lippe werden bis zu 2.000 Patienten ein Jahr lang begleiten. Zeigen sich am Ende die gewünschten Effekte, wollen sich Politik und Funktionäre dafür einsetzen, dass es überall in Deutschland Schlaganfall- Lotsen gibt und bestenfalls Krankenkassen die Kosten hierfür tragen.
Matthias Gockeln jedenfalls tut alles dafür, dass die „gewünschten Effekte“ eintreten. Patienten sollen bestmöglich rehabilitiert in einen Alltag mit hoher Lebensqualität zurückkehren und – ganz besonders wichtig – keinen wiederholten Schlaganfall erleiden. Das hört sich leichter an, als es vielen Patienten fällt. Ohne einen „Kümmerer“ an ihrer Seite, einen Menschen mit viel Herz, aber auch Verstand, sind viele auf diesem Weg überfordert.
Zurück in den Job
Denn eines ist klar: 20 Kilo verliert man nicht von allein. „Und die sind auch schnell wieder drauf, wenn man nicht versteht, worauf es ankommt“, weiß Gockeln heute. Verstanden hat er auch, dass ein Arbeitstag nicht 16 Stunden dauern muss und man das Handy samstags, sonntags und feiertags mal ausstellen darf. Der Schlaganfall war die Initialzündung für sein neues Leben, doch der Weg zur Erkenntnis brauchte erfahrene Helfer und fachmännische Berater. Angela Winzmanns neuer Job ist es, diesen Prozess zu organisieren und zu koordinieren.
Beide – Gockeln und Winzmann – haben schon einen Plan, wie es weitergehen soll. Sie werden noch eine zweite Reha beantragen (Gockeln: „Weil ich noch etwas sicherer werden muss“), anschließend soll es stufenweise zurück in den Job gehen. „Ich habe meine Kunden aber schon vorbereitet, dass ich künftig ein bisschen vom Gas gehen werde“, sagt der Buchhalter fest entschlossen. An den Wochenenden und Feiertagen ist das Handy bereits jetzt still. Sie haben es offensichtlich akzeptiert.