Im Interview:
Barbara Steffens
leitet die Landesvertretung der Techniker Krankenkasse in Nordrhein-Westfalen
Frau Steffens, die TK unterstützt das Projekt STROKE OWL von Beginn an. Was ist Ihre Motivation?
Wir haben hier ein Krankheitsbild, bei dem Menschen sehr plötzlich in eine extreme Situation geraten. Sie brauchen viele Informationen, einen perfekten Übergang in die Häuslichkeit, eine intensive Begleitung bei der Veränderung ihres Lebensstils, also etwa Raucherentwöhnungsprogramme, Ernährungsumstellungen, Bewegung, Therapietreue. Das fällt vielen Menschen schwer, deshalb kann man in dieser Zielgruppe durch den Einsatz von Lotsen sehr gut Verbesserungen erzeugen. Dabei geht es nicht um ein Wohlfühlprogramm. Auch glauben wir an einen ökonomischen Vorteil, weil es mittel- und langfristig einen geringeren Unterstützungsbedarf gibt und weniger wiederholte Schlaganfälle.
Woher kommt dieser Bedarf? Wir haben doch eines der leistungsfähigsten Gesundheitssysteme der Welt.
Es geht in erster Linie darum, den Menschen mit ihren komplexen Versorgungsbedarfen gerecht zu werden. Man kann mit großen Reformen die sektorübergreifende Versorgung verbessern, trotzdem wird es noch Menschen geben, die in gewissen Lebensphasen Unterstützung benötigen. Die Frage, wer wann welche Leistungen übernimmt, wird auch in einem reformierten System immer ein gewisses Maß an Komplexität behalten. Und auf der anderen Seite wird das Versorgungssystem immer herausfordernder, weil wir rasante Fortschritte erleben. Deshalb wird es immer Menschen in schwierigen Situationen geben, die für sie wichtige Fragen nicht selbst beantworten können.
Die Bundesregierung scheint guten Willens, diesen Menschen zu helfen.
Ja, die Lotsen sind im Koalitionsvertrag verstetigt. Das ist schon mal ein Riesenerfolg!
Wo sehen Sie die größten Benefits durch den Einsatz von Patientenlotsen?
Bezogen auf das Projekt STROKE OWL und die Schlaganfall-Lotsen läuft die Auswertung ja noch. Wenn wir uns den Koalitionsvertrag der Regierung anschauen, werden wir natürlich nicht für jedes Krankheitsbild spezifische Lotsen haben. Es gibt Fragen nach Sozialleistungen oder zur Pflege, die sind unabhängig vom Krankheitsbild. Darüber hinaus gibt es individuelle Fragen, die sehen bei einem Schlaganfall-Patienten unter Umständen anders aus als bei einem onkologischen Patienten. Da müssen wir überlegen, wie wir solche Anforderungen und vielleicht noch regionale Fragen in ein Lotsensystem integrieren.
Am Ende geht es immer auch um Geld. Als Krankenkasse müssen Sie die Kosten im Auge behalten…
Ja, gar keine Frage. Es entstehen Kosten und wir sind als Gesetzliche Krankenversicherung nur die Treuhänder der Beiträge unserer Versicherten. Insofern gibt es immer zwei Faktoren bei uns. Neben der bestmöglichen Versorgung spielt das Kriterium der Wirtschaftlichkeit eine Rolle. Wenn bei gleichen Kosten eine bessere Behandlungsqualität entsteht, freuen wir uns. Und wir können uns auch höhere Kosten leisten, wenn die Versorgung in der Langzeitbetrachtung verbessert wird. Deshalb sind Projekte wie STROKE OWL ja so wichtig, um zu schauen, was den Patienten wirklich hilft und was vielleicht nur „nice to have“ ist. Diesen Abwägungsprozess haben wir im Blick. Ich glaube aber, dass es bei den Lotsen beides gibt: einen Benefit für die Patienten und eine ökonomische Vertretbarkeit.
Nehmen wir mal an, der beharrliche Einsatz eines Lotsen bewirkt, dass ein Schlaganfall-Patient ins Berufsleben zurückkehren kann. Dann haben Sie als Kasse die Kosten und die Rentenversicherung den Benefit.
Wenn die Finanzierung allein bei den Krankenkassen verbliebe, kämen wir sicher an die Grenzen der Wirtschaftlichkeit. Doch mit der Verankerung der Patientenlotsen im Koalitionsvertrag machen wir einen Riesenschritt. Man kann bei Schlaganfall-Lotsen und auch bei anderen Projekten ein Stück weit auseinanderrechnen, wer für was verantwortlich ist. Es geht letztlich um drei Säulen. Zum einen um sozialpolitische Fragestellungen, um Unterstützungsleistungen durch den Staat. Dann kommt die Rentenversicherung ins Spiel, weil dort große Effekte zu erwarten sind und die dritte Säule ist die Gesetzliche Krankenversicherung. Ich kann mir sehr gut Mischfinanzierungen vorstellen. Aber das muss man im Großen mit den Koalitionsfraktionen diskutieren, um zu einer Lösung zu kommen, die dauerhaft funktioniert. Das wird ein sehr spannender Prozess.
Der Koalitionsvertrag spricht von einem „Pfad“, der vorgegeben werden soll. Haben Sie eine Vorstellung, wie dieser Pfad aussehen kann?
Es gibt noch kein fertiges Konzept. Wenn man sich anschaut, welche Lotsen wir in der Erprobung haben, dann sind diese sehr unterschiedlich sowohl in der Finanzierung als auch in der Durchführung. Die Aufgabe wird sein, eine Finanzierungssystematik zu finden, die für alle gelten kann. Der Gemeinsame Bundesausschuss wird eine Bewertung der Lotsenprojekte vornehmen. Der Koalitionsvertrag sagt: Für erfolgreiche Lotsen-Projekte muss es dann einen Automatismus geben, wie sie in die Regelversorgung kommen. Das heißt, dass man nicht für jedes erfolgreiche Lotsenmodell eine neue Finanzierungssystematik schafft. Wie das gehen kann, ist noch nicht ausdiskutiert.
Wie ist Ihre Prognose: Wird es in dieser Legislaturperiode gelingen, die Lotsen gesetzlich zu verankern?
Ja, ich glaube schon, dass das innerhalb dieser Legislaturperiode lösbar ist. Und es hängt auch mit von uns ab, die wir Lotsenprojekte in den letzten Jahren mit Herzblut vorangetrieben und begleitet haben. Da bin ich wirklich Überzeugungstäterin.
Frau Steffens, vielen Dank für das Gespräch.
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