Im Interview:
Dr. Till Hartlieb
Oberarzt am Fachzentrum für pädiatrische Neurologie, Neuro-Rehabilitation und Epileptologie in der Schön Klinik Vogtareuth
Foto: © Schön Klinik
Wie hoch ist das Risiko für eine Epilepsie nach einem kindlichen Schlaganfall?
Mehrere wissenschaftliche Studien aus den letzten Jahren zeigen, dass etwa 20 bis 25 Prozent der schlaganfallbetroffenen Kinder und Jugendlichen eine Epilepsie entwickeln. Wichtig zu wissen: Das Risiko für die Entwicklung einer Epilepsie ist bei Kindern, die sehr früh einen Schlaganfall erleiden, deutlich höher. Gemeint ist damit die Zeit von vor der Geburt bis etwa einen Monat nach der Geburt. Am häufigsten tritt die Epilepsie in den ersten sechs Monaten nach dem Schlaganfall auf. Allerdings bleibt das Epilepsie-Risiko nach einem Schlaganfall im Kindes- oder Jugendalter bis zum 20. Lebensjahr erhöht.
Warum ist die Behandlung der Epilepsie so wichtig?
Eine aktive Epilepsie kann sich auf die geistige Entwicklung des betroffenen Kindes negativ auswirken. Untersuchungen zeigen, dass sich Kinder und Jugendliche nach einem Schlaganfall rund um die Geburt kognitiv ganz normal entwickeln können, wenn sie keine Epilepsie haben. Denn die gesunde Gehirnhälfte kompensiert die Schäden der Gegenseite (Neuroplastizität). Durch eine aktive Epilepsie ist diese Kompensationsfähigkeit aber deutlich verringert, denn die gesunde Hirnhälfte wird durch die Überleitung von störender epileptischer Aktivität beeinträchtigt. Ziel einer passenden Behandlung ist es, diese negativen Einflüsse auf das sich entwickelnde kindliche Gehirn zu vermindern oder zu stoppen.
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?
In der Regel kommen bei einer Epilepsie nach einem Schlaganfall im Kindes- oder Jugendalter entweder eine medikamentöse oder eine operative Behandlung in Frage. Einem großen Teil der betroffenen Kinder und Jugendlichen (ca. 70 Prozent) helfen die Medikamente, die Epilepsie zu kontrollieren und dauerhaft anfallsfrei zu leben. Bei ca. einem Drittel der Patientinnen und Patienten gelingt aber keine langfristige Stabilisierung der Epilepsie. Hier spricht die Medizin von einer sogenannten therapiefraktären Epilepsie. Therapierefraktär bedeutet, dass sich eine Epilepsie auch nach dem Einsatz von zwei passend ausgewählten und ausreichend hoch dosierten Medikamenten nicht stabilisieren lässt. In einem solchen Fall ist es sinnvoll, wenn Eltern ihr Kind in einem Epilepsiezentrum vorstellen. Hier wird geprüft, ob eine Operation in Frage kommt.
Wie kann eine Operation helfen?
Vereinfacht gesagt, verfolgt das Konzept der Epilepsiechirurgie das Ziel, den anfallsauslösenden Herd im Gehirn zu entfernen und so die Epilepsie dauerhaft unter Kontrolle zu bringen. Anfallsauslösende Herde sind nach einem kindlichen Schlaganfall meist ausgedehnte Narben in der betroffenen Hirnhälfte. Um die Epilepsie dauerhaft zu kontrollieren und die gesunde Gehirnhälfte zu schützen, werden in der empfohlenen Operation alle Nervenverbindungen der geschädigten Hirnhälfte durchtrennt und die geschädigte Gehirnhälfte sozusagen isoliert. Daher nennt man diesen Eingriff Hemisphärenabtrennung (Hemisphärotomie).
Und wie sind die Erfolgsaussichten?
Die langjährigen Erfahrungen aus vielen epilepsiechirurgischen Zentren zeigen, dass die Kinder nach dem Eingriff eine hohe Chance auf ein anfallsfreies Leben ohne Medikamente haben. Zwischen 80 und 90 Prozent der operierten Kinder werden anhaltend anfallsfrei. Und durch die operative Unterbrechung der störenden Impulse aus der geschädigten Gehirnhälfte verbessert sich ihre kognitive Leistungsfähigkeit. Die Abschätzung der genauen Chancen und Risiken vor einer geplanten Operation ist zudem ein wichtiger Bestandteil der Arbeit von spezialisierten pädiatrischen epilepsiechirurgischen Zentren. Alle Informationen werden den Eltern und in angemessener Form auch den Kindern in ausführlichen Gesprächen vermittelt, sodass diese in der Lage sind, die Entscheidung für eine Operation gemeinsam mit dem ärztlichen Behandlungsteam zu treffen.
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