Quantensprünge in der akuten Schlaganfall-Versorgung

Quantensprünge in der akuten Schlaganfall-Versorgung

Der Schlaganfall ist eine Volkskrankheit. Rund 270.000 Menschen in Deutschland sind Jahr für Jahr davon betroffen. Etwa 1,8 Millionen Menschen leben bereits mit den oft schweren Folgen eines Schlaganfalls. Doch die Schlaganfall-Versorgung hat Quantensprünge gemacht und der Krankheit einen Teil ihres Schreckens genommen. Es gilt jedoch weiterhin: Jede Minute zählt!

Wenn die Leitstelle des Rettungsdienstes Bielefeld eine Patientin mit Schlaganfall-Verdacht anmeldet, läuft im Ev. Klinikum Bethel (EvKB) alles nach einem routinierten Schema. „Time is brain“ – Zeit ist Gehirn – sagen die Neurologen bei einem Schlaganfall. Notaufnahme, Radiologie und Neurologische Klinik machen sich bereit für die Patientin.

 

„Die Behandlung eines akuten Schlaganfalls sollte unbedingt auf einer zertifizierten Stroke Unit, einer Schlaganfall-Spezialstation, erfolgen“, sagt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Schäbitz, Direktor der Universitätsklinik für Neurologie am EvKB. So steht es auch in der medizinischen Behandlungsleitlinie, die regelmäßig aktualisiert wird.

Der Rettungsdienst weiß das, nimmt die Erstversorgung vor, überprüft den Schlaganfall-Verdacht noch am Einsatzort mittels FAST-Test und sorgt für den schnellen Transport in die Spezialklinik.

 

CT oder MRT ermöglichen schnelle Diagnostik

Millionen von Nervenzellen sterben ab, Minute für Minute. Je nach Größe und Areal des Schlaganfalls gehen dadurch wichtige Funktionen verloren: die Bewegung, das Sprechen, das Sehen oder gar das Denken werden beeinflusst. „Entscheidend für die Patientin ist jetzt eine schnelle, exakte Diagnose“, sagt Schäbitz.

Wir müssen wissen, was genau an welcher Stelle im Gehirn passiert ist.
Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Schäbitz, Direktor der Universitätsklinik für Neurologie am EvKB

Den wichtigsten Hinweis dafür liefern die Aufnahmen, die umgehend im CT oder MRT gemacht werden.

 

Die Unterscheidung, die die Neurologen jetzt treffen müssen, ist richtungsweisend für die Therapie. Handelt es sich um einen Gefäßverschluss im Gehirn (ca. 85 Prozent der Fälle) oder um eine Gehirnblutung? Bei einem Verschluss, dem sogenannten ischämischen Schlaganfall, bleiben Schäbitz und seinem Team im Wesentlichen zwei Optionen zur „Rekanalisation“, wie die Neurologen sagen. Soll heißen: den Verschluss zu beseitigen und die Versorgung des betroffenen Areals mit Sauerstoff und Nährstoffen wiederherzustellen.

 

Heute gibt es wirksame Verfahren in der Schlaganfall-Behandlung

  • Die Thrombolyse, die medikamentöse Auflösung des Verschlusses, ist die erste Wahl. Seit einigen Jahren steht den Ärzten eine weitere, bei größeren Gefäßverschlüssen sehr wirksame Methode zur Verfügung.
  • Bei der Thrombektomie entfernt ein Neuroradiologe oder eine Neuroradiologin das Blutgerinnsel mittels eines Katheters, der über die Leiste eingeführt wird.

 

Etwa fünf bis zehn Prozent der Patienten kommen für diese Methode in Betracht, die nicht alle Stroke Units vorhalten. Prof. Schäbitz machte sich schon früh dafür stark, dass das EvKB eine Neuroradiologie etablierte. Als Krankenhaus der Maximalversorgung können die Bielefelder so alle Formen der Schlaganfall-Behandlung anbieten.

 

„Für einen Teil unserer Patienten haben sich die Prognosen dadurch noch einmal deutlich verbessert“, erklärt Schäbitz, welchen Fortschritt die Schlaganfall-Medizin gemacht habe. 1994 eröffnete Prof. Hans-Christoph Diener in Essen die erste Stroke Unit Deutschlands. Es war der Beginn einer großen Erfolgsgeschichte. Bis heute haben die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft und die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe mehr als 350 solcher Stationen zertifiziert.

 

Stroke Units garantieren Qualität

Wie sehr sich die Versorgung in dieser Zeit verbessert hat, machte der pensionierte Prof. Diener vor einigen Jahren deutlich, als er sich an seine Zeit als junger Assistenzarzt Ende der 1970er-Jahre erinnerte: „Wenn damals ein Patient mit einem Schlaganfall in die Klinik kam, legte man ihn in ein Bett und wartete ab, ob er überlebte.“ Heute können fast doppelt so viele Patienten einen Schlaganfall überleben.

 

Zertifizierte Stroke Units zeichnen sich dadurch aus, dass sie

  • die erforderliche apparative Ausstattung und
  • ein Team von Schlaganfall-Experten bereithalten: Mediziner, Pflegekräfte, Therapeuten – 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr.

Das Zertifikat steht für geprüfte Behandlungsqualität, denn alle drei Jahre müssen die Kliniken nachweisen, dass sie die geforderten Kriterien erfüllen.

 

Das System hat sich bewährt

Nicht alle Krankenhäuser sind gleich ausgestattet, deshalb wird bei der Zertifizierung unterschieden zwischen regionalen, überregionalen und telemedizinischen Stroke Units. So wird gewährleistet, dass in Deutschland fast flächendeckend in allen Regionen eine gute Grundversorgung des Schlaganfalls gewährleistet ist. Oft beraten sich kleinere Kliniken in ländlichen Gebieten mit Experten in großen Zentren.

 

Ist eine komplexere Behandlung notwendig, beispielsweise die Operation in einer Neurochirurgie, wird der Patient umgehend verlegt. „Wichtig ist, dass die Kooperationspartner in der akuten Schlaganfall-Versorgung – unter Einbeziehung der Rettungsdienste – auf regionale Besonderheiten achten und abgestimmte Versorgungskonzepte festlegen“, heißt es seitens der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft.

 

Prof. Wolf-Rüdiger Schäbitz kann bestätigen, dass sich das System gut bewährt hat. „Rund 2.400 Patienten mit Schlaganfall-Verdacht behandeln wir jedes Jahr. Kommen sie rechtzeitig in die Klinik, sind ihre Chancen auf eine weitgehende Rehabilitation sehr gut“, sagt Schäbitz. Doch trotz all der positiven Entwicklungen gibt er zu bedenken:

Der beste Schlaganfall ist immer noch der, der erst gar nicht passiert. Vieles haben wir selbst in der Hand.
Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Schäbitz

70 Prozent aller Schlaganfälle wären vermeidbar

Etwa 70 Prozent aller Schlaganfälle wären vermeidbar, sind sich die Experten einig. Überwiegend handelt es sich dabei um die sogenannten lebensstilbedingten Schlaganfälle. Ganz vorne bei den Risikofaktoren steht der Bluthochdruck.

 

Nach Angaben der Deutschen Hochdruckliga leiden in Deutschland mehr als 25 Millionen Menschen unter Bluthochdruck. Oft geht er einher mit ungesunder Ernährung, Übergewicht, Diabetes und Fettstoffwechselstörungen und führt zu einer Arteriosklerose („Arterienverkalkung“). Auch Rauchen fördert solche krankhaften Gefäßveränderungen, die schließlich Schlaganfälle oder Herzinfarkte hervorrufen können.

 

Durch einen Gefäßverschluss wird das dahinterliegende Gewebe nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Auch die Herzrhythmusstörung Vorhofflimmern wurde in den vergangenen Jahren als häufige Ursache für Schlaganfälle identifiziert.

Bewegung und Ernährung sind die zentralen Faktoren für Gesundheit
Dr. Markus Wagner, Gesundheitswissenschaftler der Schlaganfall-Hilfe

„Laufen, Walken, Radfahren und Schwimmen sind gute Ausdauersportarten, die sich anbieten", sagt Dr. Markus Wagner, Gesundheitswissenschaftler der Deutschen Schlaganfall-Hilfe. "Man sollte die zu einem passende sportliche Aktivität mit seinem Arzt oder seiner Ärztin besprechen, langsam einsteigen – 10 bis 30 Minuten am Stück – und sich dann steigern.“ Empfohlen werden 150 Minuten Bewegung pro Woche. Schwitzen sei erlaubt, aber grundsätzlich gelte: „Laufen ohne Schnaufen.“ Also egal welche Sportart man macht, sollte man sich dabei unterhalten können.

 

Risikofaktoren regelmäßig kontrollieren

  • Und die Ernährung? Muss es vegetarisch sein? „Nicht zwangsläufig, aber besser sind Obst, Gemüse, Salat und Fisch“, so Wagner. „Grundsätzlich gilt: Wenig industriell verarbeitete Lebensmittel einsetzen, weil die häufig viel Salz oder Zucker enthalten. Besser selbst kochen oder frisch zubereiten.“
  • Bleibt noch das Rauchen. Wer sich von der Sucht befreien möchte, dem rät Dr. Wagner „Holen Sie sich Unterstützung, wenn Sie es allein nicht schaffen. Es gibt inzwischen gute Programme für einen begleiteten Rauchstopp. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung informiert darüber.“
  • Regelmäßige Bewegung, gesunde Ernährung und der Verzicht auf das Rauchen  wirken sich positiv auf den  Blutdruck aus. „Wer damit rechtzeitig beginnt, kommt häufig lange ohne Medikamente aus“, weiß Wagner. „In jedem Fall sollte man seine Risikofaktoren regelmäßig kontrollieren und gegebenenfalls behandeln lassen.“
  • Das gelte auch für das weitverbreitete Vorhofflimmern. „Rechtzeitig erkannt, lässt sich das Schlaganfall-Risiko durch Vorhofflimmern deutlich reduzieren“, so Wagner.