Der 2. Mai 2014 ist der Tag, der das Leben von Kai Strößer radikal verändert. Bei der Arbeit sackt der Informatiker zusammen. Eine Kollegin reagiert geistesgegenwärtig, ruft den Rettungsdienst. Schnell ist er in der Uniklinik Bonn, wo die Ärztinnen und Ärzte eine Hirnblutung feststellen. Als Kai nach zweiwöchigem Koma aufwacht, erlebt er den Schock seines Lebens: eine Körperseite ist komplett gelähmt, und er hat seine Sprache verloren.
„Ich lag da völlig hilflos in meinem Bett“, erinnert er sich heute. Freunde und Familie kommen zu Besuch, „und ich konnte nicht mal hallo sagen.“ Alle versuchen ihm Mut zu machen, ihn aufzuheitern. „Doch ich habe gar keinen Witz verstanden, das war richtig frustrierend. Wenn man nicht mehr lachen kann, fehlt etwas.“ Drei, vier Jahre dauert es, bis er sein Sprachverständnis wiederfindet. Heute ist das Lachen zurück in seinem Leben, und Kai hat so viel Abstand gewonnen, dass er selbst auf die schwerste Zeit in seinem Leben mit Humor blicken kann: „Damals wollte ich eigentlich sterben, aber nicht mal das konnte ich sagen.“
Der Rehabilitation folgen ambulante Therapien: Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie, um die Sprache zurückzugewinnen. Es wird ein langer, harter Weg. An Arbeit ist nicht mehr zu denken, so schwer sind seine Behinderungen. Die ersten anderthalb Jahre verbringt Kai im Rollstuhl, Unterhaltungen sind noch unmöglich. 2019 sucht er sich Hilfe in Bonn, in einer Selbsthilfegruppe für junge Aphasiker (Menschen mit Sprachstörungen). Claudia Niederer, damalige Leiterin der Gruppe, ist vom ersten Moment an begeistert von Kais Kampfgeist. „Vom Hauptbahnhof Bonn bis zum Treffpunkt der Gruppe sind es eigentlich fünf Minuten Fußweg“, erinnert sie sich. „Mühsam kämpfte sich Kai mit seinem Gehstock voran und brauchte mehr als eine Stunde.“
Kai sei ein Kämpfer, sagt sie. „Sein vorrangiges Ziel damals war die Wiedererlangung der Sprache“, erinnert sie sich. „Heute ist er derjenige, mit dem ich die längsten Telefonate führen.“ Doch hinter ihm liegt auch ein langer Weg. „Anfangs wollte ich überhaupt nichts machen, war nur frustriert und eher schüchtern,“ sagt er. Schritt für Schritt habe sich das geändert, nicht zuletzt durch die Selbsthilfegruppe. „Da muss man reden und aus sich herausgekommen, sonst bringt es nichts“, sagt er. Denn inzwischen hat er so viel Selbstvertrauen gewonnen, dass er die Leitung der Gruppe übernommen hat.
Ein Höhepunkt des letzten Jahres war Kais Einladung nach Münster. Dort fand zum 40-jährigen Bestehen der ZNS Hannelore Kohl Stiftung ein Rap-Workshop für Menschen mit Hirnverletzungen statt. „Eigentlich mag ich gar keinen Hiphop, aber das war eine tolle Veranstaltung“, schwärmt er noch heute. Entstanden ist ein eindrucksvolles Musikvideo, das für mehr Verständnis gegenüber hirnorganisch geschädigten Menschen wirbt. Darin zu hören ist auch Kai mit der Botschaft: „Mein Handicap wird oft falsch eingeschätzt. Pass bitte auf, dass du mich nicht verletzt.“
Zehn Jahre nach seiner schweren Hirnblutung hat Kai Strößer schon viel geschafft. „Kai steht inzwischen wieder mitten im Leben und motiviert andere Betroffene, seinem Beispiel zu folgen,“ sagt Claudia Niederer, seine Vorgängerin in der Gruppenleitung. Mittlerweile lebt er selbständig in der eigenen Wohnung. Sein nächstes, großes Ziel ist die berufliche Rehabilitation. „Ich weiß natürlich, dass ich nicht mehr in meinen Beruf kann“, sagt er. „Doch irgendwann möchte ich wieder arbeiten, wenn es auch nur zwei, drei Stunden am Tag sind.
Kai bleibt ein Kämpfer und wird weiter seinen Weg machen...