Reinhard Wunderlich sprüht vor Energie, Tatendrang und Lebensfreude: Er kocht für sein Leben gern, gibt geflüchteten Menschen Deutschunterricht und reist leidenschaftlich gern quer durch Europa. „Einmal bin ich einfach zum Bahnhof gefahren und in den Zug nach Straßburg gestiegen, nur um Flammkuchen zu essen“, erzählt er. Was für viele normal klingt, ist beeindruckend, wenn man bedenkt, dass der heute 71-Jährige pflegebedürftig geworden ist.
Nach einem schweren Schlaganfall vor dreizehn Jahren ist Wunderlich halbseitig gelähmt und auf Hilfe sowie einen Rollstuhl angewiesen. Am 2. Januar 2011 sitzt der damals 58-jährige Betriebswirt mit seiner Frau am Frühstückstisch. Plötzlich bekommt er ein Rauschen im Ohr: „Dieses Geräusch hatte ich schon ein paar Tage zuvor bemerkt, als ich vor meinen Mitarbeitern eine Rede gehalten habe“, erinnert er sich. Nichtsahnend setzte er sich ins Auto, um zu seinem Job nach Belgien zu fahren.
Kurz vor der Autobahn beginnt sein linker Arm zu kribbeln. „Ich habe sofort angehalten und meine Frau angerufen“, sagt Wunderlich. Er fährt noch selbstständig nach Hause, holt seine Frau ab und fährt in die Notaufnahme eines nahegelegenen Krankenhauses. Dort erleidet er nachts einen Schlaganfall, seine rechte Halsschlagader reißt. Rückblickend sagt Reinhard Wunderlich: „Ich hatte Glück, dass es nicht auf der Autobahn passiert ist.“
Nach dem Schlaganfall ist Wunderlich zunächst erleichtert, dass er sprechen und gehen kann. Doch zu Hause erleidet er einen Krampfanfall, der seine Situation verschärft. Seitdem ist er auf der linken Körperseite gelähmt. Sein linker Arm ist völlig unbeweglich und er benötigt einen elektrischen Rollstuhl, um mobil zu sein. Seine Einschränkungen bezeichnet der Offenburger als „Luxusprobleme“ angesichts dessen, was hätte passieren können.
Reinhard Wunderlichs optimistische Einstellung ist fast schon ansteckend, war aber nicht von Anfang an präsent. Nach dem Schlaganfall quälen ihn zeitweise Selbstmordgedanken.
Doch sie sind nur von kurzer Dauer. Stattdessen beschließt der gebürtige Kölner, sich dem Leben mit all seinen Herausforderungen zu stellen und das Beste aus seiner Situation zu machen.
„Ich lebe so gerne, es macht so viel Spaß.“ Seine rheinische Herkunft helfe ihm, das Geschehene mit einer gewissen Leichtigkeit zu akzeptieren. Schließlich gehe es ihm „unverschämt gut“, wie er selbst sagt.
Nach dem Schlaganfall war klar: An eine Rückkehr in den Beruf ist nicht zu denken. Doch statt zu hadern, findet er neue Wege, seine Energie zu nutzen. Er gründet eine Selbsthilfegruppe für Schlaganfall-Betroffene in Worms. „Es gab dort seit Jahren keine – das wollte ich ändern“, betont Wunderlich. Obwohl der vitale Senior inzwischen in einer betreuten Wohnanlage in Offenburg lebt, kümmert er sich noch immer um seine Gruppe aus der Ferne und schaut regelmäßig vorbei. „Ich bereite mich oft im Zug auf die Treffen vor, das klappt wunderbar“, erklärt er.
In seiner Selbsthilfegruppe hat Reinhard Wunderlich eine neue Lebensaufgabe gefunden: „Ich gehe in der Selbsthilfegruppe auf“, sagt er begeistert. Seine Botschaft an andere lautet: „Es lohnt sich zu kämpfen.“ Dass es sich lohnt, zeigt Reinhard Wunderlich selbst.