Herr Stricker, mehr als 25 Jahre existiert jetzt die Stiftung. Wie hat sich die Schlaganfall-Selbsthilfe in den vergangenen 25 Jahren in Deutschland dieser Zeit entwickelt?
Die Anzahl der Gruppen hat deutlich zugenommen, bei Gründung der Stiftung waren uns lediglich 100 bekannt. Wir haben für die Struktur und die Vernetzung gesorgt. Mit unserer Unterstützung sind in allen Teilen Deutschlands viele neue Gruppen entstanden. Heute sind es etwa 360, in denen sich rund 16.000 Menschen engagieren.
An wen richtet sich das Angebot?
Grundsätzlich an alle Betroffenen und auch ihre Angehörigen. Einige Gruppen sind über die Jahre immer spezieller geworden. Es gibt Gruppen für jüngere Betroffene, für Eltern betroffener Kinder, für Angehörige, Gruppen mit Menschen mit Aphasie.
Wie ist die regionale Abdeckung in Deutschland?
In Ballungsräumen sehr gut. In ländlichen Regionen kann es passieren, dass man mitunter 50 Kilometer fahren muss. Das ist manchmal ein Problem.
Was halten Sie von Online-Selbsthilfe?
Viel, insbesondere für Menschen mit eingeschränkter Mobilität. Die Online-Selbsthilfe ist im Kommen, es gibt immer mehr Foren. Der Vorteil des Internets ist, dass man viel mehr Menschen erreicht. Man findet fast immer jemanden, der die Antwort auf eine Frage hat. Großer Nachteil allerdings: Es fehlt der persönliche Kontakt.
Welche Rolle spielt der denn?
Er hat schon einen großen Anteil am Erfolg der Selbsthilfe. Der eine Teil ist die Informationsvermittlung, also Fragen wie: Welche Therapie hat dir geholfen? Oder: Wie kann ich dieses Hilfsmittel beantragen? Der andere ist die menschliche, die emotionale Seite. Man trifft dort Menschen, die Ähnliches erlebt haben, die einen verstehen. Gerade solche emotionalen Feinheiten sind online nicht vermittelbar. Das ist einer der Gründe dafür, dass sich eine große Online-Selbsthilfegruppe auch regelmäßig zu realen Treffen verabredet.
Wie muss ich mir die typische Selbsthilfegruppe vorstellen?
Es gibt eine große Bandbreite. Die durchschnittliche Schlaganfall-Selbsthilfegruppe hat 35 Mitglieder, die im Schnitt etwa 65 Jahre alt sind und sich monatlich einmal treffen. Frauen sind in der Mehrzahl.
Spielen Herkunft, Bildung und sozialer Status eine Rolle?
Ja, Selbsthilfe ist ein typisches Phänomen des Bildungsbürgertums. Dort treffen sich mehrheitlich Menschen, die es gelernt haben, sich zu informieren, zu kommunizieren und über sich selbst zu reflektieren. Und wir erreichen mit den Angeboten relativ wenig Menschen mit Migrationshintergrund. Das hat verschiedene Gründe, einer liegt sicher in den kulturellen Unterschieden. In anderen Kulturen gilt Krankheit als Schmach oder Schwäche. Die trägt man nicht zur Schau und thematisiert sie nicht öffentlich.
Würden Sie deshalb manchen Menschen abraten, eine Selbsthilfe-Gruppe aufzusuchen?
Nein, auf keinen Fall. Ein geringerer Bildungsabschluss ist doch kein Ausschlusskriterium. Von der Mitgliedschaft in einer Gruppe können fast alle profitieren. Lediglich ein Mindestmaß an Offenheit sollte man vielleicht mitbringen. Und was Menschen mit Migrationshintergrund angeht, müssen wir andere Konzepte entwickeln, um sie zu erreichen. Das gilt ja genauso für die Prävention.
Was ist die größte Herausforderung für die Selbsthilfe?
Sie braucht Menschen, die sich kümmern, die alles organisieren. Das sind die Sprecher der Selbsthilfegruppen. Wie in vielen Ehrenämtern wird es auch hier schwieriger, diese Menschen zu finden. Beim Schlaganfall kommt hinzu, dass es häufig ältere Menschen mit angeschlagener Gesundheit sind.
Hat sich das Image der Selbsthilfe verändert?
Ich finde ja. Viele haben noch das klassische Bild vom Stuhlkreis im Kopf. Da sitzen Menschen mit gesenkten Häuptern, und einer nach dem anderen erzählt seine Geschichte und wird von den anderen bemitleidet oder getröstet. Das ist natürlich Unfug. Die Selbsthilfegruppe ist heute eine starke Interessengemeinschaft, von der alle profitieren. Und für viele ist sie darüber hinaus ein wichtiger persönlicher Halt, manche treffen dort die einzigen Freunde, die ihnen geblieben sind.
Hat sich auch die Einstellung von Medizinern gegenüber den Gruppen verändert?
Tendenziell sicherlich. Anfangs hatten sie häufig Angst, dass die Gruppen ihnen ihre Patienten verrückt machen. Aber das Arzt-Patienten-Verhältnis ist ja in einem grundsätzlichen Wandel. Jeder moderne Arzt ist heute froh, einen aufgeklärten Patienten als Gegenüber zu haben, der in der Lage ist, seine Situation zu begreifen und aktiv an seiner Behandlung mitarbeitet. Dazu leistet die Selbsthilfe einen wichtigen Beitrag.
Und was genau leistet die Deutsche Schlaganfall-Hilfe für die Gruppen?
Wir verstehen unseren Auftrag als Hilfe zur Selbsthilfe. Wir unterstützen Neugründungen, organisatorisch und finanziell, bilden Gruppensprecher fort, versorgen die Gruppen mit Informationsmaterial und haben immer ein offenes Ohr für ihre Anliegen. Mit unserem Selbsthilfe-Förderfonds unterstützen wir dieses Jahr wieder mehr als 90 Projektvorhaben von Gruppen, zum Beispiel therapeutische Projekte oder Bildungsangebote. Darüber hinaus schaffen wir tragfähige Organisationsstrukturen, beispielsweise durch die Gründung von Landesverbänden oder regionalen Partnerbüros.
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