Christina Habig erinnert sich noch gut an ihre Ausbildung zur Physiotherapeutin. „In den 90er Jahren hieß es: Lasst die Patienten nicht zu früh allein laufen. Die gewöhnen sich doch einen ganz falschen Gang an!" berichtet die Rehabilitationsexpertin der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe. Auch Hilfsmittel wurden den Patienten viel später angeboten.
Neue Erkenntnisse in der Rehabilitation
Inzwischen haben zwei wesentliche Erkenntnisse diese Lehrmeinung komplett verworfen.
Erstens konnten die Neurowissenschaften nachweisen, dass die erfolgreichste Rehabilitation die frühe Mobilisation ist.
Und zweitens ist etwas geschehen, das Wissenschaftler gern als Paradigmenwechsel bezeichnen. „Das oberste Ziel der Rehabilitation ist heute die Teilhabe", erklärt Christina Habig. Soll heißen: Wir Menschen sind soziale Wesen. Wer vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen ist, empfindet sein Dasein oft nicht lebenswert. „Ich muss meine Wege im Alltag selber bewältigen können! Ob mein Gang dabei schön aussieht oder nicht, ist zweitrangig", so Christina Habig.
Die Neuroplastizität des Gehirns ermöglicht motorische Verbesserungen
270.000 Menschen in Deutschland erleiden jährlich einen Schlaganfall. Der Schlaganfall ist die häufigste Ursache für Behinderungen im Erwachsenenalter. Ein Jahr danach sind rund 60 Prozent der Patienten noch auf Therapie oder Pflege angewiesen. Eine sehr häufige Folge des Schlaganfalls ist die Halbseitenlähmung. Diese Patienten müssen in der Therapie lernen, ihren betroffenen Arm wieder einzusetzen und mit einem ganz oder teilweise gelähmten Bein wieder zu gehen.
Ermöglicht wird dies durch die so genannte Neuroplastizität des menschlichen Gehirns. Zerstörtes Hirngewebe ist zwar nicht reparabel, doch Funktionen, die vom betroffenen Teil des Gehirns gesteuert wurden, können oft von anderen Bereichen übernommen werden. Der Weg dorthin jedoch kann lang und mühsam sein, je nach Lage und Schwere des Schlaganfalls.
Gehfähigkeit und Gangsicherheit
Zunächst geht es darum, die Gehfähigkeit wieder herzustellen. Sind erste Schritte möglich, wird an der Ganggeschwindigkeit gearbeitet. Eine Faustformel der Physiotherapeuten sagt: etwa 2,6 Stundenkilometer muss ein Patient erreichen, um sich sicher bewegen zu können, beispielsweise zum Überqueren einer Straße. Als letzte, aber nicht minderwichtige Komponente, muss der Patient Gangsicherheit gewinnen. Viele Patienten vereinsamen, weil sie sich aus Angst vor einem Sturz nicht aus der Wohnung trauen.
Immer mehr wissenschaftliche Erkenntnisse gibt es zur Wirksamkeit einzelner Methoden in der Gangrehabilitation. Diese flossen im vergangenen Jahr in eine neue Behandlungsleitlinie ein, die durch die Deutsche Gesellschaft für Neurorehabilitation erstellt wurde.Vom simplen Übungsteppich bis zu Robotern reichen die Methoden, Patienten schneller und sicherer auf die Beine zu bringen.