Im Interview
Dr. Volker Middeldorf
Logozentrum Lindlar
Herr Dr. Middeldorf, sind wir logopädisch in Deutschland gut versorgt?
Die Versorgung ist flächendeckend gegeben. Aber die Praxen sind völlig unterfinanziert. 45 Minuten Therapie werden mit 38 Euro vergütet. Da können Sie sich vorstellen, dass man wenig Zeit für Planung, für Gespräche außerhalb der Therapie und für Fortbildung hat.
Welche Ratschläge geben Sie Patienten, die auf der Suche nach einem Therapeuten sind?
Ich würde ein Gespräch mit der Praxisleitung führen, um mir einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. Wie viel Erfahrung hat man mit dem Krankheitsbild Aphasie? Nach den ersten Einheiten würde ich dem Therapeuten eine Rückmeldung zur eigenen Zufriedenheit geben.
Und wenn es mir nicht gefällt?
Dann sollte ich den Therapeuten wechseln. Häufig haben die Patienten keinen Mut dazu, obwohl sie spüren, dass sie nicht weiterkommen. Das ist ein Fehler.
Können Angehörige die Patienten unterstützen?
Angehörige sind oft nicht in der Lage, sinnvoll mit den Betroffenen zu üben. Manchmal sind sie sogar kontraproduktiv in ihrer Wirkung. Zum Beispiel durch Abfragen kann die Atmosphäre ganz schnell vergiftet werden.
Wie sollten Angehörige sich Ihrer Meinung nach verhalten?
Ziel sollte sein, Angehörige zu Co-Therapeuten zu qualifizieren. Wenn sie von Therapeuten Instruktionen bekommen, diese verstehen und umsetzen können, ist die Chance gut, dass sie den Therapieprozess durch geordnetes Üben unterstützen können.
Ist es auch Jahre nach einem Schlaganfall möglich, Fortschritte zu erzielen?
Prinzipiell ja. Das belegen zahlreiche Studien. Es geht aus meiner Erfahrung auch darum, dass der Patient lernwillig ist und sich für das Neue öffnet. Das Gehirn ist plastisch, also lernfähig.
Ob es lernt, das hängt von der Intensität der Sprachtherapie ab. Die intensive Sprachtherapie zeigt nachgewiesenermaßen Wirkung.
Das heißt, auch die Therapie muss flexibel sein?
Ja. Man kann nicht universell behaupten, dass jeder Patient eine bestimmte Maßnahme benötigt. Individualität ist in der Störung genauso wie im normalen Leben sichtbar.
Macht Übung den Meister?
So ist es. Es geht um intensives Üben, also um viele Therapiesitzungen pro Woche und viel häusliches Üben. Das ist ein ähnliches Prinzip wie beim kognitiven Lernen. Die ständige Wiederholung macht den Erfolg. Das große Problem bei neuronal geschädigten Patienten ist ja, dass sie sehr schnell vergessen. Deshalb dürfen die Pausen nicht zu lang sein.
Ergibt ambulante Sprachtherapie, wie sie in Deutschland stattfindet, dann überhaupt Sinn?
Aus meiner Sicht weniger. Zwei Sitzungen pro Woche sind das übliche Maß. Der Abstand von Montag bis Donnerstag ist aber zu lang, um das Gelernte nicht zu vergessen.
Müssen Therapeuten den Erfolg ihrer Arbeit nachweisen?
Letztlich gibt es in der Sprachtherapie noch keine Evidenz. Dieser Punkt wird in Zukunft sehr wichtig, dass man die sprachtherapeutische Wirkung misst. Das kann ein Schnellscreening-Verfahren sein, was zum Beispiel nach ca. 30 Sitzungen eingesetzt wird und als Grundlage für die Bestätigung des Fortschritts dient.
Vielen Dank für dieses Gespräch.