Im Interview
Prof. Dr. Thomas Platz
leitet die Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Neurorehabilitation
Welche Therapien sind wirksam und welche nicht? Wissenschaftliche Erkenntnisse darüber werden regelmäßig in Leitlinien zusammengefasst. An ihnen können Ärzte und Therapeuten sich in ihrer Behandlung grob orientieren. Prof. Dr. Thomas Platz (Greifswald) leitet die Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Neurorehabilitation, die derzeit die Leitlinie zur Arm- und Hand-Rehabilitation überarbeitet. Mit Mario Leisle sprach er über den aktuellen Stand von Wissenschaft und Praxis.
Herr Prof. Platz, nach rund zehn Jahren überarbeiten Sie mit Kollegen die Leitlinie zur Arm-Rehabilitation. Wie hat sich die Ausgangslage verändert?
Ganz wesentlich, wir haben heute ein Vielfaches an Studien. In der Frage, wie man die Wirksamkeit von Arm-Rehabilitation einschätzen kann, haben wir enorme Fortschritte gemacht.
Was ist der Zweck einer Leitlinie?
Wir geben Empfehlungen für die Rehabilitation ab. Für den einzelnen Mediziner und Therapeuten wird die Studienlage ja nahezu unüberschaubar. Wir müssen es schaffen, die immer größeren Datenmengen zu verarbeiten und neue Erkenntnisse zeitnah in die klinische Praxis umzusetzen.
Kommen wir zu konkreten Therapien. Wo gibt es Empfehlungen?
Sehr gut ist die Datenlage für die CIMT-Methode, auch Taub´sche Therapie genannt. Diese Therapie ist sowohl früh als auch spät nach dem Schlaganfall wirksam, und zwar dann, wenn der Arm schon eine gewisse Funktionsfähigkeit für den Alltag hat, er aber deutlich weniger, als dies möglich wäre, im Alltag eingesetzt wird. Durch ein sehr intensives Training wird bei der CIMTMethode erreicht, dass der tatsächliche Einsatz im Alltag wieder deutlich mehr und mit besserer Funktion erfolgt.
Sie selbst haben ein schädigungsorientiertes Training entwickelt.
Gemeinsam mit der Physiotherapeutin Christel Eickhof, ja. Das ist eine andere Denke, die sagt: Je nachdem, was der Arm schon kann, muss ich an der motorischen Kontrolle arbeiten, ständig wiederholend und systematisch. Denn die motorische Kontrolle entscheidet letztlich über die Alltagsfunktion des Armes und der Hand. Es gibt Studien, die zeigen, dass diese Methode anderen überlegen ist. Das gibt es insgesamt in der Arm-Rehabilitation leider recht wenig.
Wo ist diese Methode einsetzbar?
Wir sprechen von einem Arm-Basis-Training, das gerade bei den ganz schweren Lähmungen für die frühe Zeit nach dem Schlaganfall geeignet ist. Das Arm-Fähigkeits-Training kann man für die Entwicklung einer guten Geschicklichkeit empfehlen.
Ein Klassiker der Arm-Rehabilitation ist schon die Spiegeltherapie.
Sie ist auch weiterhin zu empfehlen. Spiegeltherapie zeigt mittlere Effektstärken für die motorische Kontrolle und den Objektgebrauch, einen kleineren Effekt auf die Alltagskompetenz. Ergänzend scheint auch das mentale Training zu wirken. Dabei stellt sich der Patient die Übungen nach der Therapie noch einmal gedanklich vor.
Viel gesprochen wird über die neuromuskuläre Elektrostimulation oder auch die nicht invasive Hirnstimulation.
Ja, bei der Elektrostimulation werden Nerven und Muskeln am betroffenen Arm elektrisch aktiviert. Leider ist die Datenlage insgesamt uneinheitlich und der Nutzen nach derzeitigem Erkenntnisstand geringer, als man sich erhofft. Ich glaube, das liegt an der niedrigen Wiederholungsrate. Sie ist dennoch eine Therapieoption, auch in der Nachsorge.
Was verspricht den meisten Erfolg?
Interessant scheint die direkte, nicht invasive Stimulation des Gehirns mit der repetitiven Magnetstimulation motorischer Hirnareale. Durch eine gezielte Beeinflussung der Erregbarkeit des Gehirns kann die Arm-Rehabilitation nachweislich unterstützt werden.
Ist die Wiederholung von Bewegungen wichtig?
Ja, sie ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor der neurologischen Rehabilitation. Auch wenn es stupide erscheint: Durch ständige Wiederholung lernt das Gehirn motorisch.
Liegt darin auch ein Erfolgsgeheimnis von spielorientierter oder Robot-Therapie?
Ich denke ja, der Patient wird dadurch motiviert. Es gibt Systeme mit virtuellen Spielen, die überwiegend für den Zweck der Arm-Rehabilitation entwickelt wurden. Dort zeigen sich durchaus Effekte, wenn man intensiv genug trainiert. Bei schweren Armlähmungen wird auch robotikunterstütztes Training in der Arm-Rehabilitation eingesetzt. Hier sind die Effekte nicht riesig, aber sie sind verlässlich nachweisbar. Ein stark betroffener Patient in der ersten Phase braucht Unterstützung für ein aktives Training. Da sind die Robots, glaube ich, sehr gut.
Wir können nicht alle Methoden ansprechen. Aber was von all dem, was möglich ist, kann man auch in der Nachsorge anwenden?
Das ist ein wichtiger Punkt. Einige Therapien machen inhaltlich vielleicht Sinn, man wird sich aber die Frage der Kosteneffektivität stellen müssen. Im Prinzip brauchen wir für die Nachsorge spezifische Trainingsmanuale, auch für zu Hause, und müssen den Patienten vielleicht auch einfache Therapiemittel mitgeben.
Ist Eigentraining der Patienten ein Erfolgsfaktor?
Auf jeden Fall. Zweimal die Woche 20 Minuten Arm-Rehabilitation allein reicht von der Intensität her nicht. Man kommt nur weiter, wenn man einen Übertrag in die Häuslichkeit schafft – mit möglichst einfachen Methoden.
Herr Prof. Platz, vielen Dank für dieses Gespräch.