Experten-Interview: „Es gilt die Vorsorgepflicht“

Die wichtigsten Fragen, die sich Autofahrer nach einem Schlaganfall stellen sollten, beantwortet die klinische Neuropsychologin Regina Waldmüller.

Regina Waldmüller

Im Interview
Regina Waldmüller
ZAMOR e.V.

Regina Waldmüller ist Geschäftsführerin von ZAMOR e.V., dem Beratungszentrum nach Schlaganfall und Hirnschädigung Ingolstadt. Mit speziellen Tests prüft sie, ob Menschen nach einem Schlaganfall wieder fahrtauglich sind. Mario Leisle sprach mit der Klinischen Neuropsychologin über die wichtigsten Fragen, die sich Autofahrer nach einem Schlaganfall stellen sollten.

  • Frau Waldmüller, darf ich als Schlaganfall-Patient die Rehaklinik mit dem eigenen Auto verlassen?

Ohne entsprechende Gutachten würde ich davon entschieden abraten! In Deutschland gilt die Vorsorgepflicht. Nach einer Erkrankung ist der Betroffene verpflichtet, selbst zu klären, ob er wieder Autofahren kann. Und Unwissenheit schützt nicht vor Strafe.

  • Betrifft das alle Schlaganfall-Patienten?

Grundsätzlich ja. Ich würde jedem Schlaganfall-Patienten empfehlen, die Fahreignung überprüfen zu lassen. Sonst kann es passieren, dass bei einem Unfall Ihr Versicherungsschutz erlischt und sogar strafrechtliche Konsequenzen drohen.

  • Welche typischen Schlaganfall-Folgen können das Autofahren beeinträchtigen?

Das sind körperliche Behinderungen, oft eine Halbseitenlähmung, die einen Umbau des Fahrzeugs notwendig machen. Hinzu kommen aus neuropsychologischer Sicht Störungen der Aufmerksamkeit, der Konzentration und eine verringerte Belastbarkeit. Die Reaktionsgeschwindigkeit kann gemindert sein oder man kann auf zwei Reize nicht gleichzeitig reagieren.

  • Nennen Sie ein Beispiel?

Wenn ich eine unübersichtliche Kreuzung überquere, während gerade im Radio die Verkehrshinweise laufen, auf die ich gewartet habe, kann mich das überfordern.

  • Sind solche Defizite den Patienten bewusst?

Häufig nicht, oft werden sie eher von den Angehörigen wahrgenommen.

  • Wie ist es bei einem Neglect?

Bei einem Neglect wird eine Raumhälfte vernachlässigt, meist ist es die linke. Sie können nicht Autofahren, wenn Sie alles, was links von Ihnen ist, nicht oder zu spät sehen. Aber oft bildet sich ein Neglect zurück.

  • Es gibt einen amtlichen Weg zurück ans Steuer. Wie sieht dieses Verfahren aus?

Zunächst müssen Sie Ihre Erkrankung der Führerscheinstelle melden. Die stellt dann fest, welche Unterlagen notwendig sind, damit Sie wieder fahren dürfen. Dazu zählen oft ein verkehrsmedizinisches, ein neuropsychologisches und ein augenärztliches Gutachten. Es kann auch sein, dass Sie zum TÜV müssen, zur medizinisch-psychologischen Untersuchung.

  • Was sollten Patienten dabei bedenken?

Die Kosten dieser Gutachten trägt der Patient, da kommen schnell 1.000 Euro zusammen. Und sobald Sie die Erkrankung gemeldet haben, setzt ihnen die Führerscheinstelle eine Frist. Es ist deshalb ratsam, sich zunächst einen Überblick zu verschaffen.

  • Was empfehlen Sie?

Sie können sich schon vorher das Gutachten eines Verkehrsmediziners einholen oder eine neuropsychologische Testung machen. Denn wenn die Gutachten, die sie einreichen, negativ ausfallen, wird Ihnen der Führerschein entzogen.

  • Kann ich auf die Meldung bei der Führerscheinstelle verzichten?

Der amtliche Weg wird Menschen empfohlen, die den Führerschein brauchen, um ihren Beruf auszuüben. Auch bei körperlicher Beeinträchtigung, wenn Umbauten am Auto zur Auflage gemacht werden, die in den Führerschein eingetragen werden müssen. Aber eine Meldepflicht besteht nicht. Wenn Sie die Gutachten selbständig einholen, haben Sie der Vorsorgepflicht genüge getan.

  • Was sollte ich in diesem Fall vorlegen können?

Wenn man länger nicht gefahren ist, empfiehlt sich die Bescheinigung einer Probefahrstunde. Dann sollte man sich auf jeden Fall von seinem behandelnden Neurologen eine Bescheinigung ausstellen lassen und beim Neuropsychologen einen Aufmerksamkeitstest machen.

  • Was erwartet Patienten bei so einem Test?

Getestet werden die Reaktionsgeschwindigkeit, die selektive und die geteilte Aufmerksamkeit und die Belastbarkeit. Man muss zum Beispiel in schneller Abfolge auf Töne und Farben reagieren, da kann man schon in Stress geraten. Es geht auch um optische Orientierung, wie Patienten Situationen wahrnehmen. Man muss nicht alles können, aber bestimmte Mindestanforderungen erfüllen.

  • Werden Patienten Ihrer Meinung nach ausreichend über die Problematik informiert?

Man findet die letzten Jahre eigentlich in jedem Rehabericht einen Absatz über das Autofahren. Es wird aber von den Patienten oft nicht als so relevant erachtet, sie erinnern sich gar nicht richtig daran. Wünschenswert wäre, wenn auch ambulante Neurologen und Hausärzte das im Blick hätten und Patienten in der Nachsorge aufklären.

Frau Waldmüller, herzlichen Dank für dieses Gespräch.