Im Interview
Gabriele Reckord
Fachanwältin für Medizinrecht
Frau Reckord, Schlaganfall-Patienten sind in Deutschland einem Wirrwarr von Rechten und Pflichten ausgesetzt. Sind sie fast schon gezwungen, sich einen Rechtsbeistand zu nehmen?
Gute Frage. Ein Rechtsbeistand ist wichtig bei großen Entscheidungen, auch wenn man den Klageweg beschreitet. Ansonsten hoffe ich, dass es mit guter Beratung noch geht.
Dann lassen Sie uns wichtige Ratschläge sammeln. Immer wieder wird hinterfragt, ob Patienten sich ihre Rehaklinik aussuchen können. Wie ist die Rechtslage?
Kompliziert. Im Grunde besteht ein Wunsch- und Wahlrecht. Welche Klinik für meinen Bedarf besser geeignet ist, bespreche ich am besten mit meinem behandelnden Arzt, dem Sozialdienst und dem Kostenträger. Inzwischen besagt der neue § 8 SGB IX, dass Mehrkosten einer Wunschklinik übernommen werden können, wenn sie angemessen sind. Zusätzlich spielen hier jetzt Kriterien wie Alter, Geschlecht und persönliche Lebenssituation eine Rolle.
Kostenträger schreiben in der Regel auch das Sanitätshaus vor, das die Versorgung übernehmen soll. Muss ich dem folgen?
Ja, seit Januar 2010 ist das klar vorgeschrieben. Daran kann ich als Patient nichts ändern. Was ist bei der Beantragung von Hilfsmitteln zu bedenken? Jedes Hilfsmittel muss ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten, so das Gesetz, § 12 SGB V. Es gibt eine Orientierungshilfe, den sogenannten Hilfsmittelkatalog. Ist mein gewünschtes Hilfsmittel darin nicht gelistet, ist das aber noch kein Ablehnungsgrund. Ich kann immer noch versuchen, es durchzusetzen.
Haben Sie ein Beispiel, wie man vorgehen sollte?
Wichtig ist der Kostenvoranschlag vor Beschaffung des Hilfsmittels, und ich muss mich informieren, inwieweit das Hilfsmittel speziell für meine Beeinträchtigung Vorteile bringt. Bei der Beantragung eines Dreirades zum Beispiel habe ich deutlich höhere Chancen, wenn es dem therapeutischen Zweck dient, speziell in Bezug auf meine funktionelle Beeinträchtigung, um es vom nicht bewilligungsfähigen Alltagsgegenstand abzugrenzen. Hierfür benötige ich eine fachärztliche Bescheinigung.
Verhält es sich bei neuen oder aufwendigeren Therapien wie Intensivprogrammen ähnlich?
Im Grunde ja, es gibt immer die Möglichkeit einer Einzelfallentscheidung der Kasse. Dafür muss ich aber Überzeugungsarbeit leisten. Ich brauche unterstützende fachärztliche und/oder therapeutische Bescheinigungen. Ich habe schon häufiger erlebt, dass man so Dinge durchsetzen kann, von denen man das vorher nicht gedacht hätte.
Ein großes Thema ist die Pflegeversicherung. Wo liegen die größten Fallstricke für Patienten?
Wir erleben sehr viele erfolgreiche Widerspruchsverfahren, weil die Pflegegrade nicht stimmen. Oft ist die mangelnde Vorbereitung auf das Gespräch mit dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen der Kardinalfehler. Wir brauchen mehr aufgeklärte Patienten, Angehörige oder Vertrauenspersonen, die sich kümmern und beim MDK-Gespräch mit zugegen sind. Es ist wichtig, dass alle Unterlagen vorgelegt werden, darunter eine Pflegedokumentation. Unterlagen sollten bereits kopiert sein, damit der Gutachter sie mitnehmen kann.
Salopp gefragt: Empfängt man den MDK besser im Anzug oder im Bademantel?
Wichtige Frage! Es geht nicht darum, gut frisiert zu sein. Viele Patienten neigen dazu, zu zeigen, was sie können. Für das Gutachten aber ist entscheidend, was sie nicht können. Da ist viel Scham im Spiel, aber der Gutachter muss den Alltag erleben.
Haben Sie abschließend noch eine Kernbotschaft für Patienten, die ihre Rechte durchsetzen müssen?
Wer sich nicht informiert und keinen Beistand holt, hat schlechtere Chancen. Und ich sollte meine Gefühle zurücknehmen, auf der Sachebene bleiben. Emotionen haben natürlich ihre Berechtigung, aber sie führen an dieser Stelle nicht weiter.
Herzlichen Dank für dieses Gespräch.