Funktionen im Fokus
Ulrich Thiel und sein Team behandeln in der Praxis für Sensomotorik und Rehabilitation viele Schlaganfall-Patienten, die an einer Spastik leiden. Sie kommen aus Potsdam, Berlin und dem brandenburgischen Umland und immer häufiger auch aus weiter entfernten Regionen, um hier ein dreiwöchiges Intensivtraining zu absolvieren. Die Praxis ist spezialisiert auf Neurologie und die Schlaganfall-Rehabilitation.
Die Therapie von Patienten mit einer spastischen Bewegungsstörung hat zwei Ziele: die Muskulatur beweglich zu halten und die Funktionen aufrechtzuerhalten. „Dabei haben sich die Schwerpunkte verlagert“, sagt Physiotherapeut Thiel. „Früher haben Therapeuten mehr am Tonus gearbeitet, heute mehr an den Funktionen.“ Für ihn ist die Wiederherstellung der Funktionen die beste Strategie, weil der Patient dann selbst zur Lösung der Spastik beitragen kann. Wobei Dehnungen stets auch in die funktionellen Übungen einfließen sollten.
Richtungsweisende Kooperation
Die Behandlung der Spastik ist komplex. „Wenn man die Elemente isoliert betrachtet, wird die Therapie nicht gelingen“, ist Thiels Philosophie. „Es geht um Dehnung, um aktives Training und die richtige Hilfsmittelversorgung.“ Deshalb kooperiert seine Praxis mit einem erfahrenen Orthopädietechniker, der bei Bedarf auch ins Haus kommt. Eine Zusammenarbeit, die man im ambulanten Bereich noch selten antrifft.
Eine ältere Schlaganfall-Patientin etwa ist heute zum Gangtraining in der Praxis, wie immer begleitet durch ihren Ehemann. Sie leidet unter einer Spastik im Fuß, trug lange Zeit eine Schiene, mit der sie ständig umknickte und immer ängstlicher beim Gehen wurde. Auf Vermittlung der Praxis erhielt sie sensomotorische Einlagen in ihre Schuhe. „Das war Gold wert“, sagt ihr Mann. „Die Schiene braucht sie jetzt nicht mehr.“
Mangelnde Kommunikation
Fehl-, Unter- und Überversorgungen mit Hilfsmitteln sind heute keine Seltenheit. Eine wichtige Ursache dafür sehen Fachleute in der fehlenden Kommunikation zwischen den Beteiligten. Die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe plädiert deshalb schon länger für die Einführung eines Hilfsmittelpasses, über den sich die Behandler austauschen können. Hilfsmittelversorgung dürfe nicht statisch sein, sagt auch Ulrich Thiel: „Eine Spastik entwickelt sich, deshalb muss der Patient begleitet und das Hilfsmittel bei Bedarf angepasst werden.“
Eine seiner jungen Schlaganfall-Patientinnen hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Auch sie leidet unter einer Spastik im Fuß und bekam eine Schiene verschrieben. „Das funktionierte von Anfang an nicht richtig“, erinnert sie sich. „Ich habe die mehrfach kaputt gemacht, fünf Jahre lang ging das so. Dann erhielt ich sensomotorische Einlagen und war plötzlich irritiert, wie schnell ich laufen konnte.“
Bessere Versorgung für weniger Geld
Die Schiene kostete rund 3.000 Euro, die Einlagen etwa 250. Der Unterschied: Die Einlagen werden nicht von der Krankenkasse bezahlt, weil es noch keine ausreichende Evidenz für sie gibt. So ist das immer mit neuen Verfahren. Patienten und Praktiker an der Basis merken schnell, was hilft. Doch bis zur Etablierung (und Kostenübernahme) vergehen Jahre. Wie auch immer: Die Krankenkasse hat viel Geld gespart, der Patientin geht es deutlich besser.
„Bei Gangstörungen machen wir zuerst eine Videoanalyse und besprechen dann, was zu tun ist“, erklärt Thiel den Ablauf der Behandlung. Bei komplexen Fällen kommt der Techniker aus dem Sanitätshaus in die Praxis. Hand in Hand geht es auch bei der ärztlichen Versorgung, letztlich muss der Arzt das Hilfsmittel verordnen. Nach Thiels Erfahrung funktioniert das reibungslos, wenn sich die Beteiligten kennen und das Vertrauen da ist. Spastik-Behandlung sei Teamarbeit, sagt Thiel. Das gelte auch für die Behandlung mit Botulinumtoxin. „Es ist gut, wenn der Arzt weiß, was der Therapeut mit dem Patienten macht.“
Patient im Mittelpunkt
Wichtigstes Teammitglied bleibt natürlich der Patient. Zieht er in der Therapie nicht richtig mit, wird der Erfolg ausbleiben. Deshalb setzt Ulrich Thiel viel auf das Eigentraining. „Da gibt es heute eine Menge Möglichkeiten, zum Beispiel günstige Kleinmaterialien für das Training zu Hause, Dehnungsübungen oder die Vibrationstherapie.“
Die Versorgung von Spastik-Patienten wird also immer besser. Man muss jedoch die richtigen Behandler finden...