Lesertelefon mit Expertinnen und Experten der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe

Bewegungsstörungen - Fragen und Antworten

Fünf Fachleute beantworteten Fragen zu Bewegungsstörungen nach Schlaganfall.

Zum bundesweiten „Tag gegen den Schlaganfall“ bot die Schlaganfall-Hilfe ein Beratungstelefon an. Fast tausend Anrufe gingen ein. Einige charakteristische Fragen und die Antworten unserer Fachleute fassen wir hier zusammen.

 

Vier Monate nach meinem Schlaganfall kommt es immer mehr zu schmerzhaften Verkrampfungen am Handgelenk. Warum? 

Priv.-Doz. Dr. med. John-Ih Lee: Spastische Bewegungsstörungen sind eine verzögert eintretende Folge eines Schlaganfalls. Durch die Schädigung des Gehirns kommt es zu einer Störung in der Steuerung der Muskulatur. Die Folge ist eine unwillkürliche, mehr oder weniger ausgeprägte Anspannung der Muskulatur. Spastiken treten besonders häufig drei bis sechs Monate nach dem Schlaganfall auf. Im Einzelfall können sie wieder abnehmen. Oft haben sie jedoch die Tendenz, sich zu verschlechtern und sollten deshalb unbedingt neurologisch untersucht und behandelt werden.

Meine Hausärztin hat mir eine Orthese für den gelähmten Arm verordnet. Heißt das, therapeutisch ist da nichts mehr zu machen? 

Jochen Steil: Früher kamen Hilfsmittel häufig erst zum Einsatz, wenn nichts mehr anderes ging. Mittlerweile ist dieses Vorgehen jedoch wissenschaftlich widerlegt. Heute gilt: Notwendige Hilfsmittel sollen so schnell wie möglich nach dem Schlaganfall eingesetzt werden. Sie erleichtern den Alltag und bringen Lebensqualität zurück. Manchmal können sogar erst durch die Orthese in Verbindung mit intensiver Therapie neue Rehabilitationsziele geschaffen werden. Bei der Hand sollte allerdings penibel darauf geachtet werden, dass die Orthese auf keinen Fall die funktionelle Nutzung der Hand beeinträchtigt. In jedem Fall empfehle ich zur Schienenversorgung eine intensive ergo- und physiotherapeutische Unterstützung.

Mein Hausarzt hat mir Physiotherapie gegen die Spastiken verordnet – das hilft aber kaum. Gibt es andere Möglichkeiten? 

Priv.-Doz. Dr. med. John-Ih Lee: Es gibt auch wirksame medikamentöse Behandlungen für spastische Bewegungsstörungen. Sie sollten sich bei einem Neurologen vorstellen. Dieser entscheidet dann, welche medikamentöse Therapie für Sie sinnvoll ist und überweist Sie gegebenenfalls an eine Botulinumtoxin-Ambulanz. Durch eine lokale, medikamentöse Behandlung der betroffenen Extremität in Verbindung mit Physiotherapie lassen sich oft erstaunliche Verbesserungen erzielen.

Vor einem halben Jahr hatte ich einen Schlaganfall. Ich bin rechtsseitig gelähmt und mache trotz Physiotherapie beim Gehen keine Fortschritte mehr. Was kann ich tun?

Susann Schutter: Wer gehen lernen will, muss gehen. Sie benötigen auf jeden Fall eine Praxis mit erweiterten Kenntnissen in der Behandlung neurologischer Erkrankungen wie einem Schlaganfall. Sehr wichtig ist die Ausstattung unter anderem mit einem Laufband, einem Gangtrainer oder einem Gangroboter. Sie sollten selbstständig täglich gehen und sich gegebenenfalls in einem Sanitätshaus mit neurologischer Kompetenz beraten lassen, welche Hilfsmittel unterstützen können. 

Mein Schlaganfall liegt mehr als drei Jahre zurück und ich habe das Gefühl, dass ich mit meinem gelähmten Arm keine Fortschritte mehr erziele. Was kann ich tun?

Tina Laborn: Helfen kann hier wahrscheinlich eine Intensiv-Therapie, bei der Patienten über einen Zeitraum von zwei oder drei Wochen täglich mehrere Stunden trainieren. Das geschieht an Robotik-Geräten, mit denen die Therapie richtig Spaß macht. Durch die hohe Intensität erzielen viele Patienten auch lange Zeit nach dem Schlaganfall Erfolge. Es gibt einige wenige Praxen und Einrichtungen in Deutschland, die eine robotergestützte Intensiv-Therapie anbieten.

Eine Bekannte hat an einem Intensivtraining teilgenommen. Meine Krankenkasse meint jedoch, sie kann das nicht bewilligen. Wer kann mir helfen?

Gabriele Reckord: Es gibt Leistungen, die eine Krankenkasse bewilligen muss und solche, die sie bewilligen kann. Zweckmäßig ist stets die schriftliche Stellungnahme des behandelnden Facharztes, aus der hervorgeht, warum, wie und mit welcher konkreten Erwartung das Intensivtraining der Standardtherapie bei der vorliegenden Erkrankung samt Schädigungsbild überlegen und notwendig ist. Die Kasse muss überdies dem Patienten helfen, sinnvolle Anträge zur Bewilligung zu bringen. Zusätzlich hat sich im Bedarfsfall sozialrechtliche Unterstützung bewährt, sei es durch Einschaltung eines Fachanwalts oder von Beratungsstellen der Sozialverbände, zum Beispiel des VdK oder des SoVD.

 

Die Expertinnen und Experten in der Sprechzeit waren:

 

  • Privatdozent Dr. med. John-Ih Lee, Leitender Oberarzt, Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Düsseldorf, Sprecher des Neurovaskulären Netzwerkes Nordrhein plus (NEVANO+)
  • Jochen Steil, Leiter Technische Orthopädie, Orthopädie Brillinger, Tübingen
  • Susann Schutter, Leitende Physiotherapeutin, P.A.N. Zentrum für Post-Akute Neurorehabilitation, Berlin
  • Tina Laborn, Bachelor Professional of Health & Social Services, Inhaberin Hand- und Ergotherapie Laborn GbR, München
  • Gabriele Reckord, Fachanwältin für Medizinrecht und Familienrecht, Mediatorin, Gütersloh