Miteinander Sprechen hilft

Ein klinischer Schwerpunkt des Facharztes für Neurologie ist die Therapie mit Botulinumtoxin bei spastischen Bewegungsstörungen. Mario Leisle sprach mit ihm über Behandlungsmöglichkeiten dieser häufigen Schlaganfall-Folge.

Prof. Dr. Tobias Bäumer

Im Interview:
Prof. Dr. Tobias Bäumer
stellvertretender Leiter des Instituts für Systemische Motorikforschung am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck

  • Herr Prof. Bäumer, wie kommt es zur spastischen Bewegungsstörung nach einem Schlaganfall?

Am Anfang steht der Ausfall im Gehirn durch den Schlaganfall. Patienten mit einer Spastik hatten in der Regel zunächst eine Lähmung, der Arm oder das Bein hängt schlapp herunter. Dann organisiert sich unser Hirn neu. Dabei kommt es bei Patienten mit einer Spastik zu einer Fehlorganisation mit einer hohen Spannung und schlechten Kontrolle der Bewegung.

 

  • Das heißt, das Gehirn will den Arm bewegen, aber der Arm kann es nicht?

So ungefähr. Sie können die Bewegung nicht richtig machen und die Spannung nicht kontrollieren. Das ist, als wenn Sie ein Auto ohne Bremse fahren. Das ist ja die eigentliche Kunst des Gehirns, Prozesse zu bremsen. Bei der Epilepsie ist es ähnlich: Es kommt zum Anfall, weil die Bremse fehlt. Bei der Spastik funktioniert die kontinuierliche Feinjustierung nicht, sodass wir es mit einem Zusammenspiel von Lähmung und zu viel an Spannung zu tun haben.

 

  • Ist es schwierig, die Diagnose zu stellen?

Im Grunde nicht. Wenn ich den Arm eines Patienten passiv durchbewege, merke ich ganz schnell, ob da eine erhöhte Spannung ist. Und ich frage den Patienten, ob er Schmerzen hat. Das ist häufig der Grund, weshalb Menschen zu uns in die Ambulanz kommen. Die Detailuntersuchung dauert sicher länger, aber ich weiß schon nach gut einer Minute, ob es ein größeres Problem gibt.

 

  • Weshalb hört man von vielen Betroffenen, die nicht gut versorgt sind?

Das Wissen über die therapeutischen Möglichkeiten ist längst noch nicht verbreitet. Nach einem Schlaganfall geht es zunächst um die Sekundärprophylaxe, darum kümmert sich häufig der Hausarzt. Aber wenn es zu Bewegungsstörungen kommt, macht es Sinn, zum Neurologen zu gehen.

 

  • Bei der Versorgung der spastischen Bewegungsstörung ist also noch Luft nach oben?

Eindeutig ja. Die Behandlung dieser Patienten ist häufig zeitaufwendig. Doch die Behandler – Ärztinnen und Ärzte ebenso wie Therapeuten – haben nur wenig Zeit. Unser System müsste eigentlich so justiert sein, dass eine Physiotherapeutin, die nur solche Patienten behandelt, einen guten Job machen und davon leben kann. Das funktioniert nur leider nicht so.

 

  • Wie sieht denn eine ideale Versorgung aus Ihrer Sicht aus?

In der idealen Welt werden Patienten mit einer Spastik gewissermaßen „entdeckt“, zum Beispiel von ihren Therapeutinnen, die sie dann bei Fachleuten für Spastik vorstellen. Zusammen mit den Therapeutinnen und gegebenenfalls auch einem Orthopädietechniker bespricht man, wie man vorgeht.

Die Erfahrung zeigt, dass die Versorgung viel besser funktioniert, wenn die Behandler miteinander sprechen. Aber das passiert noch sehr selten.
Prof. Dr. Tobias Bäumer
  • Wann kommen Betroffene für eine Therapie mit Botulinumtoxin zu Ihnen?

Wenn es ein Problem gibt, das sich durch Physio- oder Ergotherapie allein nicht lösen lässt. Wenn ich in der Untersuchung sehe, dass ein Gelenk nicht mehr frei beweglich ist, dass es Schmerzen bereitet oder die Pflege behindert, kann Botulinumtoxin eine gute Option sein. Manchmal ist es auch so, dass es Patienten stört, wenn ihre Spastik deutlich sichtbar ist. Auch das ist ein nachvollziehbarer Grund.

 

  • Wie wirkt das Mittel?

Es dringt in die Nervenzellen ein und blockiert die Weiterleitung der Nervensignale an den Muskel, dadurch verringert es die Spannung. Im Prinzip verstärke ich ein wenig die Schwäche im Muskel. Dadurch wird der Arm oder das Bein lockerer.

 

  • Aber die Wirkung hält nicht dauerhaft an...

Nein, der Körper baut den Wirkstoff ab, nach etwa zehn Wochen lässt der Effekt nach. Die meisten Patienten kommen nach zwölf bis sechzehn Wochen wieder. Das hängt auch davon ab, was sie in den anderen Therapien erreichen. Man muss im weiteren Verlauf die Behandlung anpassen. Es kann sein, dass sie dann mehr oder weniger Botulinumtoxin brauchen oder manchmal sogar keins mehr.

 

  • Was können Patienten selbst zur Therapie beitragen?

Viel Eigentraining, das ist ein ganz wichtiger Punkt! Je mehr die Patienten selber üben, desto besser für die Funktion. Deshalb müssen die Therapeuten sie motivieren und anleiten, wie sie selbst in ihrer Rehabilitation weiterkommen.

 

  • Lässt sich eine spastische Bewegungsstörung heilen?

Nein. Sie ist die Konsequenz einer Hirnverletzung durch den Schlaganfall. Wir können die Auswirkungen behandeln, aber die Verletzung an sich ist nicht heilbar.

 

  • Können Sie Betroffenen, die schon jahrelang an ihrer Spastik leiden, noch Hoffnung machen?

Wenn die Gelenke ganz fest werden, ist das ein Problem. Aber solange noch eine gewisse Dynamik vorhanden ist, kann man es probieren, das ist total individuell. Ich würde Patienten empfehlen, sich in einer entsprechenden Ambulanz vorzustellen.

 

Herr Prof. Bäumer, vielen Dank für das Gespräch.