Beratung ist das A&O

Diplom-Ingenieurin Nicole Bruchhäuser, angestellt bei der Landeshauptstadt Wiesbaden, gibt im Interview mit Mario Leisle Schlaganfall-Betroffenen wichtige Tipps.

Dipl.-Ing. Nicole Bruchhäuser

Im Interview:
Dipl.-Ing. Nicole Bruchhäuser
Vorstandsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Wohnungsanpassung e. V.

  • Frau Bruchhäuser, was sind die häufigsten Fehler, wenn Menschen ihre Wohnung barrierefrei machen wollen oder müssen?

Ein großer Fehler aus unserer Sicht ist es, keine Beratung in Anspruch zu nehmen. Das passiert sicher noch zu oft. Und häufig kommen die Menschen einfach zu spät. Schwierig ist es auch, den Bedarf einzuschätzen. Ich plädiere immer dafür, lieber etwas mehr Barrierefreiheit einzuplanen, als man zunächst denkt.

  • Und was kann beim Bau alles schiefgehen?

Oh, bei der Durchführung können zahlreiche Fehler passieren. Ausreichend Platz, gerade im Bad, ist immer ein zentrales Thema. Wir hatten einmal den Fall, dass hinter der Tür ein schicker Heizkörper als Handtuchhalter eingebaut wurde. Das Ventil stand jedoch so weit heraus, dass die verbreiterte Tür gar nichts mehr nützte, weil sie sich nicht weit genug öffnen ließ. Das ist so ein typischer Punkt, der für eine professionelle Wohnberatung spricht.

  • Haben wir denn ausreichend Beratungsstellen in Deutschland? Und wo finde ich eine für mich?

Im Großen und Ganzen sind wir recht gut aufgestellt. Viele Beratungsstellen findet man bereits jetzt auf der Internetseite der BAG. Wir hoffen, dass wir die Liste dieses Jahr komplettieren können. Es gibt noch ein paar weiße Flecken auf der Landkarte, aber für diese Regionen gibt es zum Beispiel die Möglichkeit einer Fernberatung.

  • Gibt es eigentlich ein Recht auf Wohnberatung?

Gute Frage. Die Pflegekassen sind verpflichtet, Pflegebedürftige bezüglich der Bezuschussung und der infrage kommenden Maßnahmen zu beraten. Wenn der Medizinische Dienst der Krankenkassen ins Haus kommt, erwarte ich schon, dass er auf solche Dinge achtet und entsprechende Empfehlungen gibt.

  • Macht es Sinn, sich vor einer Beratung selbstständig im Internet zu informieren?

Es gibt eine Fülle von Informationen im Internet. Da schadet es nicht, sich als Patient oder Angehöriger einzulesen. Laien würde ich aber immer empfehlen, auch mit diesem Wissen eine professionelle Wohnberatung in Anspruch zu nehmen. Sie vergeben sich ja nichts, und wir beraten produkt- und herstellerunabhängig.

  • Auf das Älterwerden kann man sich vorbereiten, doch ein Schlaganfall kommt immer plötzlich. Da bleibt kaum Zeit für Beratung …

Das stimmt, aber auch das kennen wir als Wohnberater. Man kann auch in kurzer Zeit viel schaffen. Für manche Einschränkungen gibt es die Möglichkeit, über Hilfsmittel, die die Krankenkasse zahlt, einen gewissen Ausgleich zu schaffen. Und dann kann man im Alltag sehen, was man noch nachrüsten muss. Gerade bei einem Schlaganfall ist eine Vorhersage, was die Menschen brauchen, nicht immer leicht. Viele machen ja noch Fortschritte in der Rehabilitation.

  • Anders als Hauseigentümer müssen Mieter oder Miteigentümer vor Umbauten eine Genehmigung einholen.

Ja, da hat es gerade gesetzliche Änderungen gegeben, die es Inhabern von Eigentumswohnungen leichter machen. Es müssen nicht mehr zwangsläufig alle Miteigentümer zustimmen. Auch im Mietrecht wurde etwas verändert. Man kann gegenüber seinem Vermieter immer argumentieren, dass solche Umbauten in vielen Fällen eine Aufwertung der Wohnung bedeuten. Meistens zieht dieses Argument. Wenn es doch mal hart auf hart kommt, kann man die UN-Behindertenrechtskonvention und das Grundgesetz anführen. Aber nach meiner Erfahrung ist das in den allermeisten Fällen nicht notwendig.

  • Welche finanziellen Hilfen gibt es für Schlaganfall- Patienten?

Die Krankenkassen kommen für Hilfsmittel auf, das können zum Beispiel Griffe oder ein Duschhocker im Bad sein. Bei Pflegebedürftigkeit zahlt die Pflegekasse bis zu 4.000 Euro Zuschuss für Umbauten. Darüber hinaus gibt es verschiedene Fördermöglichkeiten, zum Beispiel durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Da muss man aber genau hinschauen, weil sich Förderungen teilweise gegenseitig ausschließen. Das ist Teil der Wohnberatung, ein Finanzierungskonzept zu erstellen.

  • Schlaganfall-Patienten leiden nicht nur unter Körperbehinderungen, vielen bereiten Wahrnehmungsstörungen oder Gesichtsfeldeinschränkungen große Probleme. Wie schafft man für sie Barrierefreiheit in der Wohnung?

Das ist sicher schwieriger, aber auch hier gibt es einige Möglichkeiten: Orientierungspunkte für das Auge, Farbkonzepte oder das Anbringen von Schutzvorrichtungen, damit ich mich zumindest nicht verletze, wenn ich mich stoße. Ganz wichtig ist immer ausreichendes, indirektes Licht, am besten über Bewegungsmelder gesteuert. Da sind wir beim großen Thema Smarthome, da ist heute sehr viel möglich.

 

Frau Bruchhäuser, vielen Dank für das Gespräch.