Im Interview:
Uwe Helbig
gelernter Krankenpfleger, Schlaganfall-Lotse und zertifizierter Case-Manager
Herr Helbig, wenn man über besonderen Hilfebedarf spricht, muss man umgekehrt auch fragen: Gibt es eigentlich den typischen Schlaganfall?
Aus meiner Erfahrung gibt es ihn nicht. Natürlich hat man wiederkehrende Problematiken und viele Fragen wiederholen sich. Aber wir haben in unserem Lotsenprogramm über tausend Patienten betreut. Da hat jeder seine individuelle Note.
Wie helfen Sie eigentlich Betroffenen, die die Ursache ihres Schlaganfalls gar nicht kennen?
Das sind Menschen, die haben zumindest einen besonderen Beratungsbedarf. Man geht davon aus, dass ungefähr dreißig Prozent der Betroffenen die Ursache nicht kennen. Man sucht weiter, aber manchmal findet man nichts. Das macht es gerade für jüngere Patienten schwer. Man muss ihnen erklären, dass sie vielleicht lebenslang Medikamente einnehmen müssen, ohne genau zu wissen, warum.
Haben jüngere Betroffene einen besonderen Hilfebedarf?
Sie haben zumindest andere Fragestellungen als Menschen im Rentenalter. Da geht es um berufliche Wiedereingliederung, häufig auch um Fahrverbote, weil sie beruflich auf den Pkw angewiesen sind. Diese Themen haben wir mehrfach in der Woche.
Jüngeren Menschen, die schwer betroffen sind, bleibt manchmal keine andere Alternative als das klassische Pflegeheim...
Das ist eine besondere Herausforderung. In Ballungsräumen gibt es bereits gute Angebote, auf dem Land sieht das noch anders aus. Aber auch für uns Lotsen steht die Suche nach Unterstützungsmöglichkeiten in den eigenen vier Wänden ganz oben auf der Agenda. Und unsere Patienten kommen zu fünfzig Prozent seltener in die stationäre Pflege als andere.
Aber die meisten Patienten haben keinen Lotsen...
Richtig, aber wenn man sich intensiv auf die Suche macht oder gute Beratungsstellen hat, ist vieles möglich. Bei uns in Dresden ist zum Beispiel ein Netzwerk gewachsen, das heißt „Stammtisch Kopfsache“. Da treffen sich Akteure, die sich in der regionalen Versorgung vernetzen möchten. Ähnliche Netzwerke gibt es auch in anderen Regionen, danach sollte man die Augen offenhalten.
Wo erleben Sie in Ihrem Alltag häufig einen besonderen Hilfebedarf?
Kognitive Veränderungen werden von den Betroffenen oft quälender empfunden als körperliche Behinderungen. Für das motorische Training gibt es viele Methoden und Geräte, die es so für kognitive Störungen nicht gibt. Die Akzeptanz des Umfeldes ist bei sichtbaren Einschränkungen deutlich höher als bei unsichtbaren.
Viele Angehörige beobachten psychische Veränderungen und wissen keinen Rat.
Ja, Depressionen sind sehr häufig. Auch aggressives Verhalten erleben wir, aber nicht ganz so oft. Hirnorganische Veränderungen können das Verhalten enorm verändern. Der Hausarzt sollte erster Ansprechpartner sein, er kann zu Fachärzten überweisen. Mit der Suche nach speziellen Hilfeangeboten ist er aber zeitlich überfordert. In vielen Bundesländern gibt es Pflegestützpunkte. Die können ein Anlaufpunkt für Beratung sein.
Von Angehörigen hören wir immer wieder, dass eine eingeschränkte Kommunikation eine große Herausforderung ist.
Ja, bei einer globalen Aphasie fällt der Alltag oft schwer. Ich hatte eine Patientin, die sich mittels Sprachcomputer verständigt hat. Technische Hilfsmittel sind an der Stelle ein Segen. Für die Entlastung der Angehörigen kann die Nachbarschaftshilfe ein Ansatz sein und natürlich die Selbsthilfe.
Ist Selbsthilfe der Ausweg, wenn übliche Hilfen nicht greifen?
Selbsthilfe ist weit mehr als das. Ich empfehle oft: Suchen Sie den Austausch mit anderen Betroffenen. Die können aus eigener Erfahrung sprechen, haben schon Antworten auf viele Fragen gefunden und kennen Ansprechpartner. Irgendeiner aus der Gruppe hat fast immer einen Tipp.
Welchen allgemeinen Rat würden Sie Betroffenen mit „besonderem Hilfebedarf“ auf den Weg geben?
Hartnäckig bleiben, Unterstützung einfordern! Sei es bei der Krankenkasse, der Beratungsstelle oder in der Arztpraxis. Und natürlich kann man sich mit seinen Fragen immer an das Service- und Beratungszentrum der Deutschen Schlaganfall-Hilfe wenden.
Herr Helbig, herzlichen Dank für dieses Gespräch.